Zeugnis von Valérie Baudois, einer in ihrer Kindheit durch ein Wunder unversehrt gebliebenen Frau

Um den Gutshof der Familie Baudois in Siviriez zu erreichen, nehmen wir die Strasse nach La Pierra. La Pierra ist der Ort wo Marguerite Bays (1815-1879) ihr ganzes Leben lang gelebt hat. In 1,5 km Entfernung von diesem bedeutungsvollen Ort sehen wir den grossen Gutshof im Schnee schimmern. Während der Hund die Besucher stürmisch empfängt, heisst uns die Familie freundlich willkommen.

« Es vergeht kein Tag, an dem wir uns nicht bei Marguerite bedanken ». Zusammen mit seiner Enkelin Virginie und seiner Schwiegertochter Eliane am Küchentisch sitzend kommt Norbert Baudois zurück auf den Unfall, diesen « schmerzvollen Moment », der normalerweise nicht den glücklichen Ausgang hätte nehmen dürfen, den wir ihm heute zuschreiben. Als anerkanntes Wunder wird dieses Ereignis zur Heiligsprechung der seligen Marguerite Bays dienen (vgl. unten).

Der Umfall

Es geschah am 6. März 1998. In Begleitung von vier seiner Kleinkinder entfernte Norbert Baudois auf dem Familien-Anwesen die Schneeabsperrungen. Die 22-Monate-alte Virginie und ihre ältere, 8-jährige Schwester sitzen auf dem Traktor, als die Kleine hinunterfällt. Der Grossvater kann sie nicht rechtzeitig genug entfernen. Das Rad überrollt die Kleine alsdann ihrer ganzen Länge nach. Virginie bleibt liegen. Aber einige Sekunden später beginnt die Kleine, in seinen Armen zu weinen. Unverzüglich und laut  dankt der Grossvater  Marguerite Bays. « Sie hätte zerquetscht und tot sein müssen. Es konnte nur ein Wunder geschehen sein », fährt er fort, seine Augen mit Tränen der Enkelin zugewandt. Warum die selige Marguerite im Gebet anrufen? Der Landwirt und seine Frau Yvonne beten zu ihr jeden Abend, zum Schutz ihrer Enkel, und zwar « seit jenem Tag, wo ich ein Bild von Marguerite Bays gesehen habe, wo sie von vielen Kindern umgeben ist ».

Einer seiner fünf Söhne fährt Virginie unverzüglich ins Spital von Billens, da die Eltern von Virginie eine landwirtschaftliche Messe in Paris besuchten. « Ich wurde ins Spital bestellt, um zu erklären, was geschehen war. Die Ärzte wollten es nicht glauben ». 

« Es war unbegreiflich »

Eliane Baudois kehrt am nächsten Tag mit dem ersten TGV (Hochgeschwindigkeitszug) nach Hause zurück. « Ich hatte gute Nachrichten bekommen. Aber als ich meinen Schwiegervater ganz hilflos sah und den Anzug meiner Tochter, wo ganz klar Radspuren zu sehen waren, da wusste ich nicht, in welchem Zustand ich die Kleine wieder sehen würde ».

In Billens versichert man der Mutter, dass Virginie wohlauf ist, da weder innere Verletzungen noch Knochenbrüche diagnostiziert werden. Nur einige blaue Flecken, die vom Sturz herrührten, waren zu sehen. « Es war unbegreiflich ». Die Kleine bleibt drei Tage im Spital zur Beobachtung. « Aber ich war noch nicht beruhigt; ich ging mit ihr zum Osteopathen für weitere medizinische Untersuchungen ». Der Grossvater seinerseits befragt seinen eigenen Arzt: « Er sagte mir, dass in diesem Alter die Knochen noch weich seien, was umso mehr dazu hätte führen müssen, dass die Kleine  ganz hätte zerquetscht werden müssen, nicht? ».

Am gleichen Tag kehrt er mit einem seiner Söhne auf die Unfallstelle zurück: « Man sah die Spuren des Rads in der Erde, dann 80 cm nichts mehr und dann wiederum die gleichen Radspuren ». In den Tagen danach ist er beim Lesen der Lokalpresse traurig gestimmt. « Man behauptete, dass die Kleine sozusagen in die Erde, die hätte schlammig sein sollen, hineingedrückt worden sei », erinnert er sich, immer noch verständnislos vor den Falschinformationen jener Zeit.

Die Stiftung Marguerite Bays und ihr Präsident Jean-Paul Conus wurden informiert. « Da ein Wunder nicht jede Woche und nicht in allen Pfarreien geschieht, musste das Verfahren mehrere Male wieder aufgenommen werden, um dem von Rom fixierten Rahmen zu genügen », so Eliane Baudois weiter. Sie wurde als Zeugin einberufen und musste sogar auf die Bibel schwören, die Wahrheit zu sagen.  Die Schwester Virginies, trotz ihres jungen Alters, musste auch ihre Sicht des Erlebten erzählen wie auch der Schwager, der die Kleine ins Spital gebracht hatte.

Der untersuchte Traktor

Derjenige, der als Augenzeuge am meisten vor dem Diözesangericht aussagen musste, war Norbert Baudois: « Die Richter kommen auf alles zurück, um sicher zu gehen, dass man nichts erfindet. Denn es hat so viele Leute gegeben, die falsche Wunder angegeben haben ». Eines Tages kommt ein Prälat beim Gutshof vorbei, in Begleitung eines Spezialisten für Traktoren. Dieser überprüfte alles von Grund auf: der Sitz oberhalb des Traktorhinterrads, wo die Kleine gesessen hatte; die Höhe und die Breite der Räder; sogar die Breite zwischen den Stollen des Traktorreifens, um sich zu vergewissern, dass die Kleine nicht zwischen die Stollen gefallen war ».

Im Jahre 2016 wurde Virginie Baudois für den Heiligsprechungsprozess von Marguerite Bays  medizinisch untersucht. « Es war nur eine Kontrolle meiner Atmungsorgane und meiner Beweglichkeit; um nachzuweisen, dass ich gesund und beschwerdefrei war », so erzählt die junge Frau.

Reise nach Rom

Bei der Ankündigung der Heiligsprechung von Marguerite Bays fühlte sich Norbert Baudois glücklich vorab für sie: « Sie verdient es. Sie war schon zu ihren Lebzeiten eine Heilige ».  Die Familie wird für die Heiligsprechung im Herbst 2019 selbstverständlich nach Rom reisen. « Es wird aussergewöhnlich sein, das erleben zu dürfen. Es ist etwas besonderes, beim Abschluss der Angelegenheit dabeisein zu dürfen. Denn im Prinzip geschieht das erst viele Jahre später », bemerkt Eliane Baudois. Die Familie, die ihren Glauben in der gleichen Diskretion praktiziert wie die Selige, betet zu ihr täglich und besucht die Danksagungs-Messen am 27. (ihr Todestag) jedes Monats. « Das Wunder hat meinen Glauben und meine Glaubenspraxis nicht verändert. Ich exponiere mich nicht und verlange nicht vom ganzen Dorf, daran zu glauben », so die Mutter.

Der gläubige Grossvater seinerseits begibt sich jeden Freitag ins Haus vom Marguerite Bays um dort, mit anderen Gläubigen zusammen, den Rosenkranz zu beten. « Wissen Sie: Es wir die erste Schweizer Laiin sein, die heiliggesprochen werden wird », stellt er mit nicht wenig Stolz fest.

 

« Wunderbar gerettet, aber nicht einzigartig »

Virginie Baudois ist eine 22-jährige junge Frau „wie so viele andere auch“. Mit Ihren grünen geschminkten Augen (sie arbeitet in einem Schönheitsinstitut im nahegelegenen Bulle), ihren langen geraden Haaren und ihrem ganzheitlichen Charakter antwortet sie selbstbewusst und ohne Umschweife auf unsere Fragen. « Man soll das nicht idealisieren », sinniert sie. Da sie zu klein war um sich an das Ereignis zu erinnern, ist sie grossgeworden im Bewusstsein des göttlichen Schutzes, der ihr damals zuteil wurde.
 

Vom Wunder-Kind einmal abgesehen: Wer ist überhaupt Virginie Baudois?

Virginie Baudois: Zunächst bin ich nicht etwas spezielles, nur weil an mir ein Wunder geschehen ist. Ich lebe meinen Alltag (sie lacht). Wie alle Jungen die 22-jährig sind, schaue ich TV-Serien, gehe ich aus am Wochenende, bin Mitglied des Jugendvereins und liebe es, meine Freizeit mit meinem Freundeskreis zu verbringen.

Wie wird man gross mit einer solchen Geschichte?

Von klein auf bin ich „die“ Virginie dieses Unfalls, aber mir war die Bedeutung dieser Geschichte nicht bewusst. Ich wusste, dass ich Glück gehabt hatte, aber es war etwas zu abstrakt. Und jetzt bin ich eine junge Erwachsene. Manchmal stellen Kunden den Bezug her zwischen meinem Namen und meinem Herkunftsort Siviriez, dann sage ich ihnen, dass ich es bin. Ich verstecke mich nicht, aber ich prahle damit auch nicht. Es gab eine Phase, wo ich mir die Frage stellte: Warum ich und nicht jemand anders? Heute sage ich nur noch „Danke“.

Gibt dies ein Gefühl der Unbezwingbarkeit?

Nein, das kann ich nicht behaupten. Obwohl mir meine Freunde oft sagen: « Du kannst machen was du willst, du bist beschützt. Ob du nun Bob fährst, den Wagen nimmst oder das Motorfahrrad, dir kann nichts zustossen ». Ich weiss, dass ich einen Schutzengel habe, was aber noch nicht bedeutet, dass mir mein Leben lang nichts zustösst.

Was denkt überhaupt ihr Freundeskreis darüber?

Ich weiss es nicht. Meine Freunde sind diejenigen, mit denen ich seit meiner Primarschule zusammen bin, sie kennen also die Geschichte. Ob sie sie glauben oder nicht ist mir eigentlich egal. Hingegen glaubt mein Freund daran. Es war wichtig, dass er gläubig ist, denn das ist ein Teil meiner selbst, entweder du nimmst mich ganz oder du gehst (Sie lacht).

Was weckt in Ihnen die Figur von Marguerite Bays?

Sie gehört immer noch zu den Mitgliedern unserer Familie. Es ist mein Schutz. Sobald ich mich Gott zuwende, denke ich zuerst an sie. Sie ist es, zu der ich bete und rufe. Ich besuche auch die Gottesdienste am 27. jedes Monats. Ich habe ein Buch über ihr Leben gelesen. Ich muss noch die anderen Bücher über sie lesen (Sie lacht).

CP (Deutsche Fassung vom Übersetzer)

Zwei anerkannte Wunder, die notwendig sind, um heiliggesprochen zu werden

Die Anerkennung als Wunder, was in der Familie Baudois geschehen war, war die Voraussetzung der Heiligsprechung von Marguerite Bays („La Gruyère“ vom 17.01.2019). « Die Kirche sieht in der Regel die Notwendigkeit zweier Wunder für eine Heiligsprechung vor », erklärt Norbert Baudois. Das erste Wunder datiert aus dem Jahr 1940: ein angehender  Pfarrer hatte einen Unfall am Berg, der Dent de Lys, überlebt, der seinen Gefährten das Leben gekostet hatte. Die Fürsprache Marguerites wurde 53 Jahre später anerkannt. Die Selige aus Siviriez wird die erste Heilige aus dem Kanton Freiburg werden.

CP La Gruyère (Deutsche Fassung vom Übersetzer)